10. Oktober 2025

Evergreens Insights: KI, Zinsen und die Resilienz der Märkte - ein klärender Blick auf das erste Halbjahr von Julien Kohn

In diesem Auszug aus dem Podcast „Evergreens by Spuerkeess“ stellt Julien Kohn, Investment Portfolio Manager bei Spuerkeess, seine Analyse für das erste Halbjahr 2025 auf den Finanzmärkten vor. Er kommt auf den Einfluss der chinesischen KI DeepSeek, die Spannungen im Zusammenhang mit der US-Geldpolitik, die Dynamik in Europa und die Aussichten für die kommenden Monate zurück. Eine ausgewogene Vision über Zurückhaltung und Chancen in einem sich wandelnden globalen Umfeld.

Das Jahr begann euphorisch mit dem „US Exceptionalism“. Aber schon Ende Januar löste China mit „DeepSeek“ eine Schockwelle aus. Die Folgen?

„DeepSeek“, eine von den Chinesen ins Leben gerufene Open Source-KI, stellt die massiven Investitionen amerikanischer Giganten wie Meta, Alphabet und Apple in Frage. Denn wenn die Chinesen es genauso gut hinbekommen, aber für weniger Geld, könnten Zweifel an der Relevanz dieser Investitionen, insbesondere in Nvidia-Chips, aufkommen. Das hat zu einer Korrektur an den Märkten geführt.

Bestehen diese Zweifel weiterhin?

Ja. Noch ist nichts bestätigt. Kann man zu niedrigeren Kosten produzieren? Und ist ihre KI wirklich genauso gut? Diese Unsicherheiten haben den Markt in Aufruhr versetzt. Dadurch werden die massiven Technologie-Investitionen in Frage gestellt.

Kommen wir jetzt zum „Liberation Day“ und seinen Folgen.

An jenem Tag überraschten die von Donald Trump durchgesetzten Zölle. Dies wirkte sich auch auf die Zinsen aus: Anleger verkauften Anleihen und die Renditen stiegen. Das wiederum setzt den amerikanischen Staat unter Druck, denn er zahlt bereits sehr viel Geld für seine Schulden. Der Zinsanstieg dürfte Trump dazu veranlasst haben, die Wogen zu glätten.

Trump übt offen Kritik an Jerome Powell. Worum geht's?

Trump würde nur zu gerne die Geldpolitik beeinflussen, aber die Fed bleibt unabhängig. Er hat jedoch eine Hoffnung: Das nahende Ende von Powells Amtszeit. Sein Nachfolger könnte eine expansivere Politik verfolgen, was erhebliche Auswirkungen auf den US-Haushalt hätte.

Und Europa?

Die EZB hat ihre Zinsen gesenkt, aber ich würde nicht auf ein Ende des Zyklus wetten. Der starke Euro wirkt deflationistisch, Öl ist billiger, die Digitalisierung schreitet voran... Es kommen wohl noch zwei bis drei weitere Zinssenkungen in Betracht, wenn die Inflation niedrig bleibt. Die europäischen Volkswirtschaften, allen voran Frankreich und Deutschland, schwächeln.

Anleiherenditen gehen in den Sinkflug. Ist etwa TINA („There is no Alternative“) wieder angesagt?

Noch nicht, aber vielleicht bald. Wenn die Zinsen weiter sinken, reichen Anleihen nicht mehr, um positive Realrenditen zu erzielen. Wir müssen uns verstärkt Aktien zuwenden, vor allem angesichts einer höheren Inflation als zwischen 2010 und 2020.

Der europäische Markt performt dieses Jahr besser. Warum?

Die Industrie ist stark gefragt, unterstützt durch die Konjunkturprogramme. Der geopolitische Kontext begünstigt Rüstungsfirmen. Finanzwerte mit guter Kapitalausstattung und großzügiger Dividendenpolitik ziehen Anleger auf der Suche nach Rendite an.

Und die europäischen Banken?

Sie haben sich gut entwickelt, bleiben aber zyklisch. Bei einer Trendwende der Konjunktur wird ihr Kerngeschäft leiden. Ihre Entwicklung mit der der „Magnificent Seven“ zu vergleichen, macht wenig Sinn. Immerhin: Wer auf sie gesetzt hat, hat seine Schäfchen im Trockenen.

Was ist mit „grünen“ Anlagen?

Der Markt schwankt zwischen Extremen. Nachhaltige Anlagen wurden überbewertet und anschließend korrigiert. Der Klimawandel ist real, aber man muss zu einem rationaleren Ansatz zurückkehren. Das Thema bleibt langfristig bedeutsam.

Und wie sieht Ihre Prognose für das zweite Halbjahr aus?

Schwer zu sagen. Die Märkte haben historische Höchststände erreicht. Die Konjunktur bleibt solide, Liquidität ist reichlich vorhanden. Aber ich bleibe trotzdem vorsichtig. Alles wird von den Unternehmensergebnissen und der Geldpolitik abhängen.